Rückblick: 12 Jahre berlinerstrassen

Seit etwa 12 Jahren existiert berlinerstrassen, begonnen als Community Seite mit Streetart und und freier Musik aus dem Umfeld der berlinerstrassen. Heute möchte ich einen Rückblick aus einer Fotokiste geben und ein paar Stichworte dazu in den Raum werfen. Wer die Verbindung zu den jeweiligen Bildern errät, gewinnt ein Lächeln.

Samarita Geto, Squil, Kreuzberg, B-Ski, Jaysta, Börek, Berlin, Plattenbau, U1, Kreuzberg, Friedrichshain, DJ Werd, Bussi, Os Gemeos, Görli, Real-M, Kenji 451, BeSt, Kotti, streetart…

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berlinerstrassen: Archivfotos aus Amsterdam, Cottbus, F-Hain, KRZBRG, Leipzig, Paris & Berlin

Knotenpunkt 15 – Streetart goes St. Pauli

20151010_165401Nicht fern dem Mainstream der Reeperbahn startete bereits am 09. Oktober die Ausstellung Knotenpunkt 15 in der Affenfaust Galerie in Hamburg. Und nicht allzu fern zeigen sich auch die Exponate. Streetart ist erwachsen geworden könnte man sagen. Es ist nicht mehr vermessen 11.000 Euro pro Leinwand zu verlangen. Viele der ausgestellten Kunstwerke scheinen sogar bereits nach der Opening Gala verkauft zu sein – da und dort klaffen bereits am folgenden Tag Lücken in der professionell gehängten Reihung der Kunstwerke.

Coco Bergholm

Coco Bergholm – Knotenpunkt 15

Unter dem Titel „urban and contemporary art“ finden sich unter anderem Arbeiten von Künstlern wie Vidam, Roman Klonek, Quintessenz, Jan Koke, DXTR, Brokowitch und Base23. Zuweilen wird der Standort aus der Galerie auf große Außenflächen verlagert, an denen die großflächigen Wandbilder ihre volle Ausdrucksform finden. Leider finde ich keinen Guide zu diesen Flächen in der Galerie, weswegen ich einige Künstler hier gar nicht vorfinde. Die Ausstellung bekommt etwas stark museales und wirkt auch wegen des gut inszenierten Rundgangs etwas bieder. Good meaning bad?

Die technisch perfekte Darstellung auf der Website in Verbindung mit social media, auf denen Künstler wie Exponate gezeigt und benannt werden, versöhnt den Freund der frei zugänglichen Streetart wieder etwas. Jedoch wirkt dieses Konzept etwas stark entkopplet.

Roman Klonek

Roman Klonek – Knotenpunkt 15

Persönlicher Favorit bleibt trotz einiger Highlights wie Brokovichs Farbverläufen aus collagierten Spielzeugen und Laurence Valleries’s Pappelefanten: Dave the Chimp mit seinen Human Beans. Nicht nur weil er aus Berlin kommt, sondern auch weil die Wahl der Medien mehr Gefühl für die Natur dieser urbanen Künstlergeneration widerspiegelt.

Die Ausstellung läuft noch bis 18.10.2015 Eintritt: 5,00 Euro.

Dicke Linda – schlanke Franka

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Wo liegt eigentlich der Kranoldplatz? Zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße gelegen verbirgt sich jenseits des S-Bahn Rings ein kleines Gründerzeitviertel. Hier bieten Bauern und Lebensmittelerzeuger der Region seit neuestem jeden zweiten Samstag ihre Waren an. Ein Farmer Market in Neukölln? Da muss ich hin – dachte ich mir am Osterwochenende – und schlenderte aus dem Körnerkiez über die schöne Stahlbrücke an der Hertastraße entlang und überquere die Silbersteinstraße am Eduard-Müller-Platz. Jetzt die Bendastraße nehmen und da liegt er schon vor mir- der Kranoldplatz. Etwas versteckt, zugegeben, aber die Suche wird belohnt. Die dicke Linda bietet neben Gemüse- und Obst auch viele kleine Leckereien, einen Fleischstand und viele vegetarische und vegane Speisen.
Linda ist der Name einer Kartoffelsorte, die dem Markt den Namen gab. Etwas überrascht stelle ich fest, dass sogar gleich zwei alte Bekannte vor Ort sind: Bio Bäckerei Schmidt aus der Lausitz und in einem schicken Oldtimer der Kiezwagen Blank, dessen Inhaberin ich noch aus Schulzeiten kenne. Franka Isabel Eisenschenk. Sie startete das Projekt eines verpackungsfreien Lebensmittel-Geschäfts auf Rädern mithilfe einer crowd-funding Kampagne. Aus Kiezladen wurde Kiezwagen, aber die Vision ist real geworden. A tasteful world without plastic.

Der Albtraum der BVG

1UP – Maskierte Helden

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1UP  EXHIBITION – IAM 1UP

Obwohl der Name anderes vermuten lässt, wer das Phänomen um 1UP verstehen will muss zunächst tief hinab steigen. In diesem Falle zunächst erstmal eine Treppe an der Warschauer Straße. Dort nämlich in der Urban Spree Galerie stellt 1UP sein Oevre und auch ein zeitgleich herausgegebenes Buch vor. Im Vorhof der Galerie steigen vor den Augen der Besucher zwei schwarze Gestalten eine Wand hinauf.

Selbst unaufmerksamen Bewohnern Berlins mag dies nicht nötig erscheinen, immerhin zieren bereits diverse großflächige Wandbilder den öffentlichen Raum. Bilder wie sie an der Außenwand der Fassade zu sehen sind schießen einem durch den Kopf. Bemalte U-Bahnen, riesengroße Graffiti und tropfende Feuerlöscher-Tags mit gigantischen Außmaßen. Und doch zeigt sich der Innenraum der Ausstellung überraschend aufgeräumt.

Im Gespräch mit einem HipHop Enthusiasten mittleren Alters erfahre ich, daß für Ihn 1UP „so etwas wie Helden“ sind. Er, der aus Hamburg vor Jahren hierher nach Berlin zog, sah in den Aktionen von Anfang an etwas besonderes. Und hier unterscheidet sich die Aktionskünstler-Truppe auch im wesentlichen von vielen anderen Graffitikünstlern. Sie haben Youtube Fans und werden von vielen gefeiert – oder eben auch gehasst. Diese Publikumsbegeisterung kann ziemlich wahrscheinlich der präzisen Dokumentation zugute geschrieben werden, die die 1UP Crew bereits in vielen Videos und Fotos im Netz, vor allem aber auf der One United Power DVD betreibt. Mehrere Millionen Klicks beweisen den Hype, der um die wilden Aktionen herrscht, in denen beispielsweise ein kompletter U-Bahnwaggon in nur 3 Minuten im laufenden Betrieb bemalt wird. Auch diese Videos sind Teil der Ausstellung, die man durchläuft wie eine Level von Supermarioland.

Auch ein Besucher weit aus höheren Alters hat sich eingefunden – in kompletter BVG Montur mit Krawatte und Schnauzbart hält er seine Kamera im Anschlag. Ob er sich wohl auch eins der Poster Zuhause aufhängen wird, die es beim Merchandise stand zu kaufen gibt? Das Buch ist für 25 Euro zu haben, die Poster sind umsonst. Sticker sind leider schon alle, verrät mir der Betreiber der Galerie. In den ersten zwei Stunden nach der Eröffnung habe er bereits etwa hundert Bücher verkauft. I AM 1UP bleibt dem Besucher nur die essentielle Frage schuldig – Wer ist eigentlich dieser 1UP?

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one united power

 

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Über Copycats, Kunst & Kommerz

In der gesamten Stadt breiten sich Sticker und Streetart aus – eine mehrheitlich positiv angenommene Weiterentwicklung von Tags und Graffiti. Poster, Sticker und Installationen überziehen die Laternenpfähle, Ampeln, und sonstige Flächen der Straßenlandschaft. Berlin ist die Welthauptstadt der Straßenkunst.

Easy does it – Ayse does it .. Just do it. Von Berlin nach TelAviv und wieder zurück. Werbeflächen für Hingucker müssen nicht viel kosten. „Easy does it!“, die beruhigende Botschaft steht inzwischen in der ganzen Stadt auf Stickern zu lesen. Die Werbekampagne eines jungen Startups in Kreuzberg hat seine Spuren hinterlassen.

Ob Werbeträger oder Streetart, viele Formen von Guerilla-Marketing und Street-Promotion sind inzwischen eine Mischung aus beidem. „Just do it!“ Hieß lange Zeit der Slogan eines großen Sportartikelherstellers. Mit Streetartist „Just“ von ReclaimYourCity hat das mit Sicherheit nichts zu tun. Aber Ayse? Wer ist jetzt das?

Wie sich Kunst und Kommerz Gegenseitig beeinflussen sieht man auch an der Brandwand im Hintergrund. Nachdem die deutlich sichtbare Wand von Graffiti bemalt ist wird sie auch schon flugs neugestrichen und als Werbefläche vermietet. Kaum  war das Fleckchen am S-Bahnhof Neukölln wieder weiß getüncht, da prangte auch wenige Tage später schon wieder ein bunter Regenbogen aus Streichfarbe an der selben Stelle. Spaßguerilla? Oder nur die nächste Kampagne für die Abdeckfarben des nächsten Baumarkts um die Ecke? Man weiß es nicht.

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just ayse does it

Die roten Knollenmännchen sind los

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Wer Augen hat, der schaue. Nach Streetart auf den Berliner Straßen. Immer wieder finden sich neue Innovationen auf dem weiten Feld der Straßenkunst. Diese kleinen Knollenmännchen finde ich seit einiger Zeit häufig bei Spaziergängen im Körnerkiez. Sie haben eine kartoffeleske Figur und sind liebevoll auf Zeitungspapier gebannt. Jedes ein Unikat. Hier noch einige weitere dieser Gattung.

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Ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…Dieses Figürchen erinnert schon eher an eine Birne. Auch hier finde ich den Recycling Charakter dieses Paste Up sehr nachhaltig und liebevoll.

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Apfel und Birne? Vielleicht war ich mit der kartoffelesken Beschreibung zu voreilig. Aber so eine Namensgebung ist ja auch keine einfache Sache. Vielleicht meldet sich ja der oder die Schöpfer/in zu Wort. Apropos Wort: Die Worte stehen meistens Kopf.

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Dieses hatte es eilig und hat sich für das Rad entschieden. In der Eile sind die Buchstaben wieder richtig herum gedreht worden. Kann ja mal passieren. Und auch sehr interessant.

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Bei diesem Männchen gibt es Luftballons. Perfekt zum Frühlingsstart. Aber auch zu jeder anderen Jahreszeit. Wieder eine Birne, oder?
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Dieses hat bestimmt gerade Feierabend. Die Abendsonne deutet darauf hin. Uff. Geschafft.

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Jetzt ein Tässchen Tee.

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Oder Vielleicht ein gutes Buch. Bis bald.

Bügelperl-Tiere erobern die Straße

Eine seltene Spezies verbreitet sich in den Straßen. Es ist die Gattung des Bügelperl-Tierchens. Das Gefieder fällt durch seine knallbunte Färbung auf. Wie es sich ernährt ist unklar – Beobachter sprechen davon, dass es oft tage- oder wochenlang an der selben Stelle verharrt. Auch die Art und Weise der Fortpflanzung ist bisher ungeklärt. Dieses possierliche Exemplar hat es sich an dieser Neuköllner Hauswand gemütlich gemacht. Ich werde in nächster Zeit weitere Sichtungen der Einfachheit nur noch mit Foto und kurzer Notiz des Ortes dokumentieren. Beachtlich sind übrigens auch die benachbarten kleinen wesen. Sind es eventuell Parasiten oder hat sich dieses kuschelige Beieinander zufällig ergeben? Bald mehr dazu.                                                     bügelperltier

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Die „Über“ Story von BerlinerStrassen (.com und .net)

Ich habe Anfang der 2000er Jahre in Berlin Friedrichshain die Berliner Kunst/Streetart Szene fotografisch dokumentiert. Zusammen mit „schnizZzla“ entstand die Idee für eine Plattform auf der Leute ihre Fotos, Musik und Konzerttermine posten können – BerlinerStrassen.com – support your local heroes! Gemeinsam mit „finefin“ und „moons“ wurde die BeSt Redaktion gegründet. Die Gemeinde wuchs und es konnten in den ersten Jahren aufgrund hoher Besucherzahlen auch Einnahmen erzielt werden. Wegen der vielen Beiträge entschloss sich die Redaktion schon früh für die creative commons Lizenz. Nach einigen erfolgreichen Jahren spaltete sich die Redaktion jedoch inhaltlich über dem Thema der Kommerzialisierung der Erlöse durch die Website. Aus .com für community wurde so langsam .com für commercial.
Aufgrund wiederholter technischer Probleme mit der Datenbank und weiterer Schwierigkeiten kam die Redaktionsarbeit bald darauf zum erliegen. Nach Verlust eines beträchtlichen Anteils der Beiträge und der veränderten Lage in der Web-3.0-Medien-Landschaft (Sharing Dienste, Clouds und soziale Netzwerke) entschied ich mich, die Seite als gratis gehostete WordPress Variante unter BerlinerStrassen.net wieder aufzusetzen. Mit einigen Veränderungen: Alle Inhalte stammen von der BerlinerStrassen Redaktion in der Form von „runnie“ als Chefredakteur und bisher einzigem Autor. Allein auf der Facebook Fanpage können Inhalte von anderen an der Pinnwand geteilt werden. Administratoren der Facebook Fanpage sind immer noch die vier Gründungsmitglieder. Musik wird mehrheitlich über Soundcloud o.Ä. eingebunden. Alle Inhalte unterliegen der creative commons (by-nc-nd 3.0) Lizenz. Teilen ist willkommen. Neues Motto: ..hier werden sie geduzt!

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Die Mitglieder der Redaktion:
finefin:
.. hat (zusammen mit Ex-BeSt Mitglied Nemo) eine Firma für App-Entwicklung und Spiele gegründet – Canupa.
moons:
..betreibt nebenbei seinen eigenen Blog dickedecke.de – benannt nach einem Song der K.O. Kicker (ehemals einer der Hauptacts auf BeSt).
schnizZzla:
.. als SEO Experte und Fachmann für SEM selbstständig tätig.
runnie:
.. ist Urban Design- und Social Media Experte, schreibt, fotografiert und administriert immer noch auf berlinerstrassen.net

(siehe auch Impressum)

Wahlkrampf 2013 – Wo gehts lang?

wahlkrampfEin Laternenmast voller Plakate in Berlin Neukölln. Es ist mal wieder Bundestagswahl. Wie ein Wanderer vor dem Wegweiser steht man nun vor diesem Kunstwerk von Ideenlosigkeit. Streetart mal ganz anders. Auffallend ist, dass lediglich die Splitterparteien klare Ansagen machen. Die Linke skandiert in Bild-Manier „Miete und Energie: Bezahlbar für alle.“ Die Piraten thematisieren das Problem der geringen Wahlbeteiligung mit der hoffnungslosen Frage „Warum häng ich hier eigentlich? Ihre geht ja eh nicht wählen“. Schon etwas skurril, aber immerhin provokant. Nur was Sie dem Wähler damit versprechen wollen bleibt etwas unklar. Die MLPD fordert „Freiheit für Kurdistan und Palästina“ und die FDP traut sich anscheinend gar nicht erst zu plakatieren im Körnerkiez.

Die Grünen haben ihr plakatives Highlight mal wieder in Kreuzberg-Friedrichshain mit dem Seyfried-Plakat auf dem Ströbele um eine Hanpfpflanze tanzt. Die CDU und die SPD haben als Motto „Das Wir entscheidet“ und „Gemeinsam erfolgreich“ zu bieten. Aber zu wem  gehört eigentlich welche Parole? Auch was die Plakatgestaltung angeht treten die beiden großen lediglich mit Köpfen an. Aber irgendwie bekommen es die zwei Parteien nicht hin, uns ihre Ziele erfolgreich zu vermitteln. Erst kürzlich stellte dies eine Sendung im ARD mit dem Titel „Der Kandidaten Check“ fest.

Auch das beliebte Adbusting, das sonst unseren grauen Wahl-Alltag etwas aufheitere scheint durch die Ideenlosigkeit der Slogans auf ein Minimum beschränkt zu sein. In den letzten Jahren hatten einige Straßenkunst Aktivisten, die Partei und auch die Bergpartei wenigstens ab und zu ein Lächeln auf die traurigen Wählergesichter zaubern können. Dieses Jahr scheinen selbst die Kampfansagen der rechten Parteien austauschbar und unmotiviert. Ich erinnere mich an das Sprüche Receycling und einige bunte Popos bei der NPD. Farbige Hinterteile in Gelb, Rot, Grün und schwarz – steht die NPD jetzt für Multikulti? Vielleicht sollten sich die Parteien mal dem Zeigeist anpassen und wie Obama Straßenkünstler und Graffitimaler für Ihre Kampagnen anstellen – dann klappts vielleicht auch mit mit der Street Credibility. Obey! – äh, Obama!, Change! und so. Währenddessen muss man zum deutschen Bundestags-Wahlkrampf sagen: No – we can’t.

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Fernweh – Warum die Berliner weit weg wollen

DSC_0296„Eigentlich wollte ich jetzt schon auf Hawaii sein“, sagt die Dame vor der Info an der Berliner Hufeisensiedlung. Ich dagegen wollte eigentlich die Siedlung besichtigen. Aber bei einem kurzen, circa zweistündigen Plausch, erzählt mir die gebürtige Britzerin mal eben kurz Ihre Lebensgeschichte.

Es ist eine Geschichte, die viele in Berlin erzählen. Sie handelt vom Fernweh, vom in-Berlin-Hängenbleiben, von nie realisierten Auswanderungsplänen von Reisen in ferne Länder und von der Hassliebe zur Heimatstadt. Ein bisschen Nostalgie kann da schon mal dabei sein. So wird von alten Tagen geschwärmt, von den Kinos auf dem Ku-Damm, von der Jugenddisko und der ersten großen Liebe. Das alles gibt es jetzt nicht mehr – die Kinos sind weg, die große Liebe nach Australien ausgewandert und die Jugend vorüber.

Ausgangspunkt sind die überhöhten Preise, die die Deutsche Wohnen (ehemals Gehag) in der Glasvitrine für leerstehende Wohnungen anpreist. Ihre Mutter habe jetzt gerade Ihr Reihenhaus, das sie seit 50 Jahren zur Miete bewohnt, einem Käufer zeigen müssen. Das Vorzugsangebot habe sie sich nicht leisten können. Kurz bevor die potentiellen Käufer kommen habe die alte Dame dann noch alles schön zurecht gemacht. Da sei Ihr die Hutschnur geplatzt, erzählt die Britzerin weiter.

Wäre die Mutter nicht so alt, hätte sie selbst ja schon lange die Kurve gekratzt und sich in die Staaten abgesetzt. Aber ganz so einfach sei das eben auch nicht. Das mit Hawaii habe sich zerschlagen – der Geschäftsmann aus Kalifornien, der mit Ihr den Neustart wagen wollte, sei dann doch wieder abgesprungen. Warum Sie denn hier weg wolle, frage ich sie. „Weil die Leute hier alle soo sind“ -sie beantwortet die Frage mit einer Scheuklappen-Geste. Und alles werde hier langsam zu teuer – da könne man ja auch gleich irgendwo anders leben. „Wenn man nicht aufpasst ist der Zug irgendwann abgefahren“ – für sie sei es jetzt bald zu spät, sagt sie. Und überhaupt – das Wasser sei viel zu kalt im Pazifik – da würde sich ja doch eher Florida anbieten – „ist auch nicht so weit weg von Berlin“.

In der Tat gibt es viele, die aufgrund schwieriger Arbeitssituation oder reiner Abenteuerlust wenigstens zeitweise der Stadt den Rücken kehren. Die wenigsten schaffen es allerdings ganz und es bleibt beim Reisen. Real oder auch nur mit dem Finger auf der Landkarte – das Reisen in ferne Länder hat die Berliner schon immer begeistert. Und doch: so ganz loslassen können die meisten nicht. Ich erinnere mich an die Bestellung einer Hausfrau auf einer Farm mitten in Namibia, die sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts aus der entfernten Kolonie an das Warenhaus Wertheim aufgibt. Darin bittet sie im Mai 1910 um die Zusendung des aktuellen Sommerkatalogs für Damen-Sommergarderobe. In sauberem Sütterlin steht ihre Bestellung dort immer noch auf dem Bestellschein, und wer es nicht glaubt, der kann gerne nach Windhoek fliegen und es in der Okapuka Ranch nachlesen.

Die Hufeisensiedlung werde ich mir dann doch an einem anderen Tag ansehen, denn als die Geschichte der Britzerin endet, ist die Sonne längst hinter dem Werk Bruno Tauts  und Martin Wagners untergegangen.